Fachinput

Auf dieser Seite veröffentliche ich gelegentlich Fachinputs von mir zum Thema Therapie, Training und Anatomie. Viel Spass beim durchlesen. 

Der Rumpftrage-Apparat

Das muskuläre (Schlüsselbein)

Wie ihr vielleicht schon einmal gehört habt, besitzt das Pferd kein Schlüsselbein. Doch wie ist nun das Vorderbein am Rumpf befestigt? Durch die thorakale Muskelschlinge hängt der Rumpf sozusagen zwischen den beiden Vorderbeinen. Bestehend aus Muskeln, Sehnen, Bänder und Faszien.

Hauptmuskeln dieser thorakale Muskelschlinge sind:

M. serratus ventralis (vorderer Sägemuskel)

Dieser Muskel hat 2 Anteile und ist im oberen Teil des Schulterblattes befestigt. Ein Teil geht an die Halswirbelsäule, der andere an die Rippen. Dieser Muskel ist der wichtigste Rumpfträger und somit die stärkste Verbindung zwischen Vorderbein und Rumpf. Zudem stabilisiert er die Schulter.

M. pectoralis profundus (tiefer Brustmuskel)

Er befindet sich zwischen den Vorderbeinen und geht an beide Oberarmknochen und an die Rippen. Seine Aufgabe ist es den Rumpf zu stützen und das Schultergelenk zu stabilisieren.

M. subclavius (Unterschlüsselbein Muskel)

Von den ersten paar Rippenknorpel geht dieser Muskel an die Schultermuskulatur/-faszie. Nebst dem Rumpf tragen, stabilisiert er das Buggelenk und die Schulter.

Tragfähigkeit

Wenn nun die Rumpftragemuskulatur eine gute Arbeit leisten kann sowie auch der restliche Bewegungsapparat, ist das Pferd tragfähig. Wie erkenne ich das?

Ein tragfähiges Pferd kann ohne Probleme im Lot stehen. Es hat einen schönen Übergang vom Widerrist in den Rücken und der Wiederrist ist höher als die beiden Schulterblattkanten. Zudem kann es seine Vorderbeine frei bewegen, die Schultern sind nicht am Rumpf «festgeklebt». Das Brustbein ist nicht markant sichtbar. Es hat einen schönen Vorwärtsschwung. Die Oberlinie ist insgesamt harmonisch mit einem gut bemuskelten Oberhals. Das Pferd wirkt vorne eher höher als hinten. Während der Arbeit hat man das Gefühl das Pferd wächst unter dem Reiter.

Gewisse Abweichungen und Neigungen sind natürlich auch Rassebedingt. Die Liste ist natürlich nicht komplett vollständig. 

Die Trageerschöpfung

Woran erkenne ich ein Trageerschöpftes Pferd?

Diese Pferde stehen meist mit der Vorhand rückständig. Der Brustkorb hängt tief nach vorne/unten, was man an einem gut sichtbaren Brustbein erkennt. Zudem «verschwindet» der Wiederrist zwischen den Schulterblättern. Oft haben Pferde dadurch einen Axthieb. Oft haben sie einen stark ausgeprägten Unterhals. Die Oberlinien Muskulatur ist nicht harmonisch. Die Rückenmuskulatur ist nicht gut ausgeprägt. Die Pferde wirken meist Überbaut, heisst Hinterhand höher als Wiederrist. Zudem ist die Lendenwirbelsäule nach oben gewölbt. Der Bauch hängt oft tief. Der Rücken erscheint so durchhängend. Oft sind Sitzbeinmuskeln und Muskeln der Vorderbeine zu stark ausgeprägt, da sie über diese vieles kompensieren. Das Pferd kann Anzeichen von Schmerzen/ Unwohlsein zeigen (Schmerzgesicht).


Becken abkippen und Hankenbeugung

Mythos: Becken abkippen

„Das Pferd muss das Becken abkippen“. Diesen Satz hören wir von sehr vielen Pferdebesitzern, wenn sie von Versammlung sprechen. Doch was passiert, wenn das Pferd das Becken abkippt?
Das Lumbosakralgelenk (LSG) öffnet sich dabei und die Lendenregion wird dadurch hochgedrückt. Durch das geöffnete LSG kann aber keine Schub- und Kraftübertragung mehr nach vorne stattfinden. Dies kann man selber gut fühlen. Kippt euer Becken einmal ab und versucht so loszurennen. Geht nicht, oder? Das LSG sollte sich stets in einer neutralen, also nicht gebeugten oder gestreckten, Position befinden.

Beckenstellung und Lumbosakralgelenk

Bei einer physiologischen Beckenstellung sollte das Lumbosakralgelenk (LSG) stets in einer neutralen Position gehalten werden, also weder gebeugt noch gestreckt. Das Lumbosakralgelenk ist die Verbindung zwischen Lendenwirbelsäule und Kreuzbein. Es hat die Aufgabe, die Bewegungen der Hinterbeine effektiv und stabil auf die Wirbelsäule zu übertragen. Das Gelenk darf tatsächlich nicht zu beweglich sein, denn dann geht Stabilität und Kraft des gesamten Pferdekörpers verloren. Das Becken kann als eine Art „Schwungrad“ betrachtet werden. Es steht für die Weiterleitung der Bewegung in die gesamte Wirbelsäule, die in den Hintergliedmaßen erzeugt wird. Und für dieses „Erzeugen“ benötigt das Pferd vollständige Bewegungsphasen.

Hankenbeugung

Ein Pferd, dass sich versammelt beugt seine Hanken. Doch was versteht der Reiter unter den Hanken? Dazu gehören die drei Gelenke Hüftgelenk, Kniegelenk und Sprunggelenk. Die Hankenbeugung findet ab dem Hüftgelenk abwärts statt und nicht wie viele Reiter eben meinen, im Becken oder sogar im Lumbosakralgelenk. Das Lumbosakralgelenk (LSG) bleibt bei der Hankenbeugung neutral und stabil um so die Kraft nach vorne übertragen zu können.

Diese Winkelung der Gelenke wird von den stark fleischigen und wenig sehnig durch setzten Muskeln der Hinterhand gehalten. Daher ist die Hankenbeugung für das Pferd sehr kräftezehrend. Ein junges oder wenig trainiertes Pferd wird sein Hinterbein eher in Richtung Streckung der Gelenke belasten. Je grösser die Beugung von Hüft-, Knie- und Sprunggelenk ist, desto grösser ist auch der Kraftaufwand. Die Piaffe ist eine Lektion der Hohen Schule und die Krönung der Versammlung. Aus diesem Grund ist es für uns fragwürdig, ob ein 4 – 5 jähriges Pferd die Piaffe schon erlernen muss, wenn es diese körperlich noch nicht leisten kann.  

Podcast übers Pferdewippen

Den Podcast von Kristina Gau, Ariane Dienst, Sonja Ruffieux und mir findest du unter:

Youtube
https://youtu.be/I6K50CQr2NY?si=2fy4Wyp6-z4cwcUz 

Spotify
https://open.spotify.com/episode/02EgkuVohf6jE9m5ibEtvc?si=I0bu31iaSjOZDTyJG1IVZA

viel Spass beim anhören

Statement Dehnübungen am Pferd



Auslöser dieses Statements ist eine Broschüre die das Nationale Pferdezentrum in Bern mit
dem Namen «Dehnübungen mit Karotten» veröffentlicht hat. Dort werden Übungen gezeigt, bei welchen Reize gesetzt werden, die Reflexbewegungen auslösen. Aber nicht nur in dieser Broschüre begegnen wir diesen Übungen, auch im Alltag in den verschiedenen Ställen sehen wir immer wieder, dass diese am Pferd praktiziert werden. Teils werden sie auch von Tierärzten, Therapeuten, etc. empfohlen. Das NPZ weist zwar darauf hin, dass nicht alle
Übungen für jedes Pferd geeignet sind. Auszug aus der Broschüre: «Gleiches gilt, wenn das Pferd Schmerzen bei einer bestimmten Dehnung hat.» Aber es wird nicht genau beschrieben bei welchen Pferden diese Übungen kontraproduktiv sind und sogar Schmerzen verursachen können. Wir finden, dass es gefährlich werden kann, eine Anleitung für Übungen öffentlich
zu machen, wenn diese nicht individuell aufs Pferd abgestimmt sind. Nun zu den Übungen
und der Erklärung wieso diese meist kontraproduktiv sind und nur in Hände von Fachleuten gehören.

Definition Reflex von Wikipedia: «Ein Reflex ist eine unwillkürliche, rasche und stets gleichartige Reaktion eines Organismus auf einen bestimmten Reiz.» Bedeutet, das Pferd kann nicht willkürlich steuern ob es diese Bewegung ausführen kann/möchte. Die Bewegung wird durch den Reflex ausgeführt, auch wenn es schmerzhaft ist.

Beispiel Reflex beim Mensch: Der Patellarsehnenreflex, ein Eigenreflex, der nach Schlag auf die Kniescheibensehne eine Kontraktion der Streckmuskulatur des Oberschenkels (M. quadriceps femoris) und damit eine Streckung im Kniegelenk auslöst.

« Sternum (Brustbein) anheben»

Bei dieser Übung wird am Bauch (Sattelgurtlage) ein Reiz gesetzt. Dieser Reiz löst ein Reflex aus: das Pferd weicht dem Reiz nach oben aus, sprich wölbt die Wirbelsäule auf und zieht die Bauchmuskeln zusammen. Dieser Reflex kann Schmerzen verursachen im Bereich des Rückens. Dies geschieht bei Befunden oder Blockaden der Wirbelsäule und Rippen, aber auch bei Verspannungen, Verkürzungen der Muskeln und Faszien in diesem Bereich.
Zudem haben viele Pferde eine verkürzte, verkrampfte Bauchmuskulatur und mit dieser
Übung wird das noch weiter gefördert. Zudem macht ein zusammengezogener Bauch und
einen aufgewölbter Rücken ein Pferd niemals tragfähig! Diese Übung macht nur im
ausgewählten Therapiesetting Sinn.

«Lumbosakralen Bereich wölben»

Aus der NPZ Broschüre: «Ziel dieser Übung ist es, dass das Pferd seinen Rücken im
lumbosakralen Bereich aufwölbt.»

Viele Pferde die wir sehen, haben schon in Ruhe einen aufgewölbten lumbosakralen Bereich und meistens dazu noch ein steil gestelltes Becken. Diese Pferde stehen mit der Hinterhand unter den Bauch, also nicht im Lot und haben eine verkürzte Bauchmuskulatur. Das Lumbosakralgelenk (LSG) ist dabei gebeugt (offen). Andererseits sehen wir auch immer wieder Pferde, die ein massiv geschlossenes LSG haben. Sie stehen mit der Hinterhand eher nach hinten raus und das Becken ist nach vorne gekippt. Dies kommt meist von einer stark angespannten Rückenmuskulatur und einer angespannten und verklebten Thorakolumbalfaszie (Faszie im Lendenbereich). Diese Faszie ist die dickste im Pferdekörper und der breite Rückenmuskel (M. latissimus dorsi) setzt an dieser an und zieht ins Vorderbein. Zwingt man das Pferd nun über einen Reflex das LSG zu öffnen, gibt dies massiven Zug auf diese sowieso schon schmerzhafte verspannte Muskulatur und Faszie. Und verursacht noch mehr Schmerzen welche bis ins Vorderbein ausstrahlen können.

Das LSG befindet sich zwischen Kreuzbein und Lendenwirbelsäule und hat die Aufgabe, die Schubkraft der Hinterhand nach vorne weiterzuleiten. Diese Kraftweiterleitung ist aber nur möglich, wenn das LSG in Neutralstellung ist.
Es gibt verschiedene Gründe, wieso ein Pferd ein gebeugtes LSG hat. Falsches Training
kann dies zum Beispiel stark begünstigen. Es kann aber auch «von Natur» aus, Pferde
geben, die ein steil gestelltes Becken haben (durch gezieltes Training kann eine
Verbesserung erzielt werden).

Ein offenes LSG kann die Kraftübertragung von der Hinterhand nach vorne nicht durchlassen und somit haben wir nur wenig oder gar keine Schubkraft. Sind die Hinterbeine zu wenig aktiv, können sich die Vorderbeine nicht frei bewegen und das Pferd hat ebenfalls nicht die Möglichkeit, den Brustkorb anzuheben. Die Folge ist ein Vorderhandlastiges Pferd, welches
nicht tragfähig ist.

Setzt man nun gezielt einen Reiz, welcher den Reflex auslöst, das LSG zu beugen (öffnen),
verursacht man eine Haltung, die nicht förderlich ist. Hat das Pferd nun im Bereich des LSG einen Befund wie z. B. Arthrose oder eine verspannte Thorakolumbalfaszie (haben übrigens viele Pferde), verursacht diese Übung zudem oft starke Schmerzen. Diese Übung gehört definitiv nur in die Hände von ausgebildeten Therapeuten und Tierärzten, denn sie darf nur sehr gezielt und dosiert als Therapie eingesetzt werden und ist definitiv keine Dehnübung.

Die weiteren Dehnübungen mit der Karotte in der Broschüre, können wir durchaus auch nicht für jedes Pferd empfehlen. Gerade die seitliche Dehnung der Halswirbelsäule ist nicht zu unterschätzen. Viele Pferde verwerfen den Kopf dabei, es gibt eine einseitige Belastung im Übergang von Hals- in Brustwirbelsäule (dieser Bereich ist bei vielen Pferden schon
überbelastet) und die empfindliche Genickregion wird strapaziert. Man darf sich auch überlegen ob für jedes Pferd die Fütterung von Karotten mehrmals die Woche eine gute Idee ist (Stichwort: Stoffwechselkranke Pferde).

Wir finden es gut, wenn der Pferdebesitzer auch bestrebt ist sein Pferd gesunderhaltend zu trainieren und gezielte Übungen mit ihm durchführt. Dabei sollte aber immer alles individuell aufs jeweilige Pferd abgestimmt werden, denn nicht jede Übung macht für jedes Pferd Sinn. Und gewisse Übungen setzen ein anatomisches Wissen voraus und sind somit geschulten Therapeuten vorbehalten. Mit diesem Statement möchten wir die Pferdebesitzer animieren
nachzudenken und nicht immer alles gleich nachzumachen. Bei Unsicherheiten fragt euer
Therapeut/in oder Tierarzt/in eures Vertrauens.

Sonja Ruffieux www.horse-balance.ch Horse-Balance by Sonja Ruffieux
Caroline Lohri www.cavallo-therapie.ch Cavallo Therapie
Maike Knifka www.maikeknifka.de Lehrinstitut Maike Knifka - Osteopathie und Training am Pferd
Sarah Meer https://drachenpony.jimdofree.com/ Sarah Meer
Rösmi Aeschlimann www.equi-sensus.ch Pferdephysiotherapie Equi-Sensus
Jennifer Bieri www.free-motus.ch Free-Motus
Nicole Egger www.pferdeinform.ch Pferde in Form - Physiotherapie für Pferde